Denkschrift zur vergabepraktischen Umsetzung von Digitalisierungsprojekten im Bildungsbereich
Vor dem Hintergrund der Maßnahmen die ergriffen wurden, um die durch die Corona- bzw. Covid19 Viren verursachten Infektionen einzudämmen, stellt sich die Frage, welche Lehrmittel den Schulen kurzfristig bereitgestellt werden können bzw. müssen, um eine Benachteiligung von Schülern und Studenten zu vermeiden.
Eine schnelle Lösung für das vorgenannte Problem scheint im Kontext von Digitalisierungsprojekten im Bildungsbereich eine Bereitstellung von IT-basierten Lehrmitteln zu sein.
IT-basierte Lehrmittel sind zumeist auf ein spezifisches Betriebssystem (Android/IOS/Windows/Linux) zugeschnittene, auf dem Markt verfügbare und diesbezüglich optimierte IT Produkte (Hardware=Devices).
Für die Bedarfsstellen, insbesondere im Bildungsbereich, ergibt sich nun die Problematik, in wie weit die Lehrmittelfreiheit durch die grundsätzliche Produktneutralität bei öffentlichen Vergabeverfahren eingeschränkt wird.
Vor diesem Hintergrund stellen sich insbesondere folgende Fragen:
Wer ist Bedarfsträger und wer ist Auftraggeber?
Es ist im Educationbereich grundsätzlich zu unterscheiden zwischen:
- den Bedarfsträgern und
- den ausschreibenden Vergabestellen.
Bedarfsträger
Die Bedarfsträger sind die Schulen bzw. genauer gesagt, die für die Vermittlung der pädagogischen Lehrinhalte verantwortlichen Stellen.
Die Bedarfsträger ermitteln den Bedarf an Lehrmittel für die schulische Ausbildung der ihnen anvertrauten Schüler.
Hierbei ist zu unterscheiden zwischen öffentlichen Schulen und Schulen in freier Trägerschaft.
Öffentliche Schulen
In den Bundesländern sind die für „Kultus“ jeweils verantwortlichen Ministerien als oberste Landesbehörden die Schulaufsichtsbehörden. Sie haben Weisungskompetenz für die pädagogischen Lehransätze und Lehrinhalte und sind im Rahmen ihrer Ressortverantwortung weisungsbefugt gegenüber den ihnen nachgeordneten Behörden und diese wiederum gegenüber den öffentlichen Schulen.
Die pädagogischen Lehrkräfte sind je nach Bundesland Landesbeamte bzw. Angestelle im öffentlichen Dienst.
Privatschulen
Bei Privatschulen wird der Schwerpunkt der pädagogischen Lehrinhalte bzw. der Bedarf durch die Träger der Schulen bestimmt, beispielsweise durch die Kirchen oder Stiftungen etc… Die für „Kultus“ zuständigen Ministerien geben die für die Anerkennung der jeweiligen Schulabschlüsse gesetzlichen Anforderungen vor.
Die pädagogischen Lehrkräfte sind in der Regel Angestellte der freien Schulträger.
Auftraggeber
Die Auftraggeber sind verantwortlich für die bedarfsgerechte Beschaffung der Lehrmittel und Bereitstellung der Infrastruktur.
Bei öffentlichen Schulen sind dies zum Beispiel die Landkreise bzw. die kreisfreien Städte = öffentliche Schulträger und je nach Bundesland und Schulart auch andere Landesbehörden, z Bsp Regierungspräsidien.
Bei Schulen in freier Trägeschaft sind es die jeweiligen freien Schulträger.
Übersichten welche Schulträger es in einem Bundesland gibt, sind im Internet verfügbar, zum Beispiel im Behördenverzeichnis KV für Baden-Württemberg.
Die öffentlichen Schulträger müssen Lieferungen und Dienstleitungen nach den geltenden Vergabeordnungen öffentlich ausschreiben. Ab einem Gesamtauftragswert von z.Zt. 215.000 Euro (netto) durch europaweite Vergabeverfahren, darunter nach nationalen Vergabevorschriften wobei oberste und obere Bundesbehörden bereits ab einem Nettoauftragswert von z.Zt. 144.000 € europaweite Vergabeverfahren durchführen müssen, was aber in diesem Zusammenhang nicht relevant erscheint da die Kultushoheit bei den Ländern liegt.
Private Schulträger müssen öffentliche Vergabeverfahren durchführen, wenn sie öffentliche Gelder, z. Bsp. Fördermittel, für die Bedarfsdeckung verwenden.
Im Rahmen der Maßnahmen zur Eindämmung der Infektionen durch Corona- bzw. Covid 19 Viren haben die einzelnen Bundesländer für weniger förmliche Vergabeverfahren unterhalb der Schwellenwerte jeweils unterschiedliche Erleichterungen zugelassen.
Bedarfsermittlung
Den Bedarf an Lehrmitteln ermittelt der Bedarfsträger. Die Auftraggeber, d.h. die Schulträger, müssen im Rahmen von Vergabeverfahren die Liefer- und Dienstleistungen für die Bedarfsträger bedarfsgerecht ausschreiben.
Dabei gilt folgender Grundsatz: Es obliegt allein dem öffentlichen Auftraggeber seinen Bedarf zu ermitteln, er ist darin frei. In einem öffentlichen Vergabeverfahren haben die Bieter keinen Anspruch, den Bedarf des Auftraggebers zu beeinflussen. Beispiel zur Verdeutlichung: Wenn ein Schulträger Granittafeln für die Aktenverwaltung ausschreibt können Bieter im Rahmen von Nachprüfungsverfahren nicht davon ausgehen erfolgreich durchzusetzen zu können, dass der Auftraggeber Papier oder eine elektr. Aktenverwaltung ausschreiben muss mit der Begründung, dies sei z. Bsp. zeitgemäßer.
Herstellerspezifische Produkte
Mehrere Hersteller bieten IT-basierte Lehrmitteln für den Educationbereich an.
Die Vorteile der einzelnen Produkte unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich der Hardware (Devices), sondern insbesondere auch in Bezug auf das Device-Management sowie der Bereitstellung von pädagogisch unterstützenden Software Applikationen.
Sofern der Bedarfsträger erkennt, das seine pädagogischen Lehransprüche am besten durch herstellerspezifische Produkte umgesetzt werden können, darf er diesen Bedarf dem Auftraggeber zur Beschaffung mitteilen. Er muss dies jedoch im Rahmen der Vorbereitung der Vergabe im Rahmen der Bedarfsermittlung nicht nur dokumentieren sondern auch begründen und der ausschreibenden Stelle bzw. Vergabestelle mitteilen.
Produktneutrale Ausschreibungen
Schulträger sind nach den Vergabeverordnungen grundsätzlich verpflichtet die Leistungen produktneutral auszuschreiben.
Sie können jedoch davon abweichen, wenn insbesondere technische Zwänge eine Produktvorgabe rechtfertigen.
Im Rahmen der Vorbereitung eines Vergabeverfahrens legen die Schulträger fest, welche Lehrmittel den Bedarf am besten decken.
Diesbezüglich sind auch folgende redaktionelle Leitsätze* von Herrn Prof. Dr. Mark von Wietersheim zu einem Beschluss des Oberlandesgerichtes Düsseldorf beachtenswert:
- Öffentliche Auftraggeber können eine sogenannte „Ein Hersteller-Strategie“ verfolgen, wenn dies am ehesten eine reibungslose und wirtschaftliche Modernisierung der über mehrere Jahre hindurch einheitlich aufgebauten Techniklandschaft bietet und zudem den Vorteil hat, bestehende unterhaltungswürdige Komponenten einzubinden und dadurch bereits vorhandene Schnittstellen optimal einbinden zu können.
- Es schadet nicht, dass der Auftraggeber tragende Gründe seiner Beschaffungsentscheidung nicht bereits in allen Einzelheiten frühzeitig in Vermerken dokumentiert hat, sondern erst im Nachprüfungsverfahren herausarbeitet.
- Auftraggeber müssen grundsätzlich keine Markterforschung oder Markterkundung vornehmen, um festzustellen, ob eine andere als die gewünschte Lösung für die Beschaffung möglich ist. Dies wird unterstützt durch die wortgleiche Fortführung der Regelung des § 8 EG Abs. 7 Satz 1 VOL/A in § 31 Abs. 6 VgV n.F.
- Weder das europäische noch das deutsche Vergaberecht dienen dazu, zu bestimmen, was öffentliche Auftraggeber beschaffen sollen, sondern geben nur Art und Weise der Beschaffung vor.
- Will sich ein Bieter nicht mit den vom Auftraggeber in zulässiger Weise vorgegebenen Produkten an einem Vergabeverfahren beteiligen, ist er durch eine eventuell unterlassene Losaufteilung nicht in eigenen Rechten verletzt.
* Quelle: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.04.2016, VII – Verg 47 / 15, Datenbank VergabePortal, Zugriff am 31.8.2020.
Eignungsprüfung
Im Rahmen von öffentlichen Vergabeverfahren dürfen Verträge nur mit geeigneten Bietern geschlossen werden. Die Eignung ist anhand der wirtschaftlichen, finanziellen, technischen und beruflichen Anforderungen zu prüfen. Diese Anforderungen gibt der Auftraggeber bzw. die Vergabestelle vor.
Der öffentliche Auftraggeber kann im Hinblick auf die technische und berufliche Leistungsfähigkeit der Bewerber oder Bieter Anforderungen stellen die sicherstellen, dass die Bewerber oder Bieter über die erforderlichen personellen und technischen Mittel sowie ausreichende Erfahrungen verfügen, um den Auftrag in angemessener Qualität ausführen zu können.
Als Beleg der erforderlichen technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit des Bewerbers oder Bieters kann der öffentliche Auftraggeber je nach Art, Verwendungszweck und Menge oder Umfang der zu erbringenden Liefer- oder Dienstleistungen ausschließlich die Vorlage von Unterlagen verlangen:
Technische und berufliche Leistungsfähigkeit bei zulässigen Produktvorgaben
Die Anforderungen des Auftraggebers an die besondere Leistungsfähigkeit könnten im Hinblick auf die technische und berufliche Leistungsfähigkeit zum Beispiel durch die Vorgabe von Händlerzertifizierungen nachgewiesen werden, die von den Herstellern den Bietern in Bezug auf deren Fachkunde, Effizienz, Erfahrung und Verlässlichkeit erteilt wurden. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Anforderungen, welche der Bieter durch Vorlage der Zertifizierung erfüllt mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen müssen und diese Anforderungen sollten als Eignungsnachweise auch konkret gefordert werden. Somit ist sichergestellt, dass auch Bieter am Wettbewerb teilnehmen können die zwar nicht die spezielle Händlerzertifizierung nachweisen können aber dennoch die konkreten Anforderungen an die besondere Leistungsfähigkeit erfüllen. Die besonderen Leistungsanforderungen müssten aber herstellerzertifizierte Bieter dann nicht einzelnd nachweisen. Durch Nachweis der Händlerzertifizierungen könnten diese Eignungsnachweise dann aber als erbracht gewertet werden.